TRANSENS-DIPRO Workshop

Gerechtigkeit und Kommunikation in der Endlagersuche

Mit dem Workshop „Ein faires und inklusives Verfahren?“ haben wir am 6. und 7. November an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel einen wichtigen Schritt in der transdisziplinären Forschungsarbeit in DIPRO getan und zugleich ein erfolgreiches erstes Jahr der Zusammenarbeit mit unserer Begleitgruppe im Rahmen einer inhaltlich tiefergehenden Diskussion abgeschlossen. Mit einem abwechslungsreichen Programm, das sowohl intensive Gruppenarbeit als auch rege Plenumsdiskussionen erlaubte, haben wir zwei große Themen behandelt:

1) die Prinzipien und Realisierungen der Verfahrensgerechtigkeit sowie

2) die politische Kommunikation über das vertrackte Problem der Entsorgung und der Standortauswahl.

Die Möglichkeit, den Workshop in Präsenz durchzuführen, hat sich positiv auf die Auswahl und Erprobung von transdisziplinären Methoden ausgewirkt und stellte einen guten Abschluss des im Laufe des Jahres vornehmlich online durchgeführten Austauschs dar. Die externen Gäste, die langjährige praktische Erfahrung mit den Themen Atomenergie und Atommüll im Rahmen der Anti-Atomkraft-Bewegung und Bürgerbeteiligung mitbrachten, haben die Diskussionen mit wichtigen Einblicken und Fragen bereichert. 

 

Hintergrund und Vorarbeiten

Der Workshop ist im Praxismodul (Modul 2) des DIPRO-Arbeitsprogramm verortet. Die thematische Ausrichtung orientiert sich am DIPRO-Themenkorrido„Recht – Gerechtigkeit – Governance“. An den zwei konkreten Themen „Gerechtigkeit“ und „Kommunikation“ arbeiten Mitglieder der verschiedenen Teams in DIPRO und eine erste Auseinandersetzung mit diesen Begriffen ist im Bericht „Transdisziplinäre Entsorgungsforschung am Start“ festgehalten. Diese beiden Themen wurden auch in vorherigen Online-Workshops mit der DIPRO-Begleitgruppe (DBG) als zentrale Punkte identifiziert. Zwei der Impulsvorträge aus dem Workshop wurden in Kooperation zwischen Mitgliedern des DIPRO-Teams Kiel und Mitgliedern der DBG vorbereitet. Der Austausch und die Diskussionen wurden aber nicht nur durch Impulsvorträge angeregt. Zentral war der Einsatz verschiedener transdisziplinärer Methoden, die wir im Folgenden (zusammen mit ersten Ergebnissen) kurz vorstellen.

 

Methoden und erste Ergebnisse

Jeweils zwei Future Headlines (Zeitungsschlagzeilen der Zukunft) wurden von allen Teilnehmenden am Anfang und am Ende des Workshops formuliert: Was werden die Medien in 20 Jahren realistischerweise über die Endlagersuche berichten? Was wünschen sich die Teilnehmenden, dass über Entsorgung und Endlagerung in 20 Jahren berichtet wird? Die Anwendung dieser Methode am Anfang und am Ende der Veranstaltung hatte zum Ziel, mögliche Veränderungen in der Zukunftsvorstellung der Teilnehmenden festzustellen. Eine erste Beobachtung zeigt: Die Vorstellung, wie es mit der Endlagersuche in 20 Jahren aussehen könnte, ist nicht optimistisch. Nach den Diskussionen und dem Austausch im Workshop veränderte sich dies bei manchen Teilnehmenden zu einem weniger negativen Bild, bei einigen kamen neue Themen vor und bei anderen blieb es unverändert. Bei den Vorstellungen, wie wir es gern in der Zukunft hätten, veränderten sich die thematischen Akzente – der Wunsch nach einem erfolgreichen Prozess bleibt aber bestehen.

Die zentralen Aspekte der Verfahrensgerechtigkeit wurden in zwei Runden von Open Space Dialogue identifiziert: Alle Teilnehmenden nennen den aus ihrer Sicht wichtigsten Aspekt für ein faires Standortauswahlverfahren. Diese Aspekte werden zu Clustern zusammengefasst. In einer ersten Runde diskutierten selbstmoderierte Gruppen über jedes Cluster, vertieften die Klärung von Begriffen und formulierten prägnante Thesen zu den jeweiligen Clustern. Anhand der Klärungen und Thesen wurde dann in einer zweiten Runde nach möglichen Widersprüchen und Ergänzungen zwischen den Clustern gesucht. Ein Widerspruch ergab sich zwischen dem Wunsch, ein möglichst offenes Gespräch über die Endlagersuche zu führen (Kriterium c, s.u.), und der von einigen empfundenen Notwendigkeit, den Endlagerdialog und die Endlagersuche in der Schwebe zu halten, solange eine Renaissance der Atomkraft nicht völlig ausgeschlossen werden kann (Kriterium d). Andere Kriterien schließen sich nicht gegenseitig aus, und in zwei Fällen (b und c) liegen sie nah beieinander:

 a) Bürgerbeteiligung im Sinne der Mitgestaltung. Letztere unterscheidet sich von Mitwirkung und Mitbestimmung.

 b) Transparenz in der Sprache, insbesondere im Sinne der Nachvollziehbarkeit von fachlichen Aspekten.

 c) Kommunikation und Sprache, bei denen u.a. auf die Klärung der verfolgten Ziele und der verschiedenen Ebenen der Kommunikation geachtet werde sollte.

 d) Vorbedingungen des gesellschaftlichen Dialogs, die erfüllt werden sollten, z.B. das Festhalten am Atomausstieg und die Wissenschaftlichkeit von Auswahlkriterien.

 

Narrative und Frames der Entsorgungs- und Endlagerungsdebatten wurden in drei Schritten thematisiert:

  • Erstens haben die Teilnehmenden in Gruppen ihre Eindrücke von Fotografien und Karikaturen der Atomenergie und der Zwischen- und Endlagerung ausgetauscht und anschließend über die Rolle solcher Bilder als Argumente in der Endlager- und Entsorgungsdebatte diskutiert: während Einzelbilder als Anstoß zur Diskussion oder als Motivation bzw. Katalysator von Emotionen angesehen werden, wird ihnen keine argumentative Rolle zugeschrieben. Erzählungen durch Bildreihen würden diese Funktion eher erfüllen und somit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Verständigung über den Entsorgungsprozess leisten. 
  • In einer offenen Runde des Erfahrungsaustauschs haben die Teilnehmenden über das Verständnis und die praktische Anwendbarkeit der Begriffe „Narrative“ und „Frame/Framing“ vertieft diskutiert. Es hat sich als schwierig herausgestellt, sich zwecks der praktischen Anwendung auf einen Begriff von Narrativen zu verständigen. Klar wurde aber das Phänomen dahinter: in der öffentlichen Entsorgungsdiskussion werden Deutungen (z.B. der aktuellen Lage in der Standortsuche, aber auch der Geschichte der Atomenergie) von verschiedenen Akteuren artikuliert. Wir können dabei überprüfen, welche davon den Anspruch auf Deutungshoheit erheben und entscheiden, ob wir damit einverstanden sind oder sie in Frage stellen. Diese Möglichkeit ist besonders wichtig, da bestimmte Narrative formuliert werden können, um eine Agenda zu setzen. Die Teilnehmenden haben sich mit konkreten Beispielen befasst, bei denen nach explizit oder implizit verbundenen Narrativen gesucht werden kann: die Figur des „Atomklos“ als Bezeichnung eines Endlagers, die Rolle der jungen Generation im Endlagersuchprozess sowie das Verständnis vom Staat und seiner Rolle gegenüber den Bedürfnissen der Bürger.  
  • Abschließend wurden im Rahmen einer Diskursanalyse in Kleingruppen drei öffentlich verfügbare Erklärungen von Akteuren im laufenden Standortauswahlverfahren unter dem Gesichtspunkt der zugrundeliegenden Narrative und Frames unter die Lupe genommen. Diese Textarbeit trug bei vielen Teilnehmenden dazu bei, die Aufmerksamkeit für Details beispielsweise in der Wortwahl und Formulierung zu schärfen und auch eigene Texte oder Äußerungen dahingehend zu beleuchten, an welche Narrative man damit (absichtlich oder unabsichtlich) anknüpft. Außerdem lieferte die Gruppenarbeit wichtige Ansätze für den anschließenden Austausch im Plenum, beispielsweise zum Verständnis einzelner Paragraphen im Standortauswahlgesetz und der Kommunikation darüber. Da auch das Recht eine zentrale Rolle im DIPRO-Themenkorridor spielt, war dies eine wertvolle Ergänzung für eine anregende Abschlussdiskussion.

Der fruchtbare Austausch zwischen den verschiedenen Perspektiven, die im Workshop vertreten waren, wird im kommenden Jahr fortgesetzt. In Planung ist ein ebenfalls transdisziplinärer Workshop in Karlsruhe im Mai 2022 zum Thema „Freiwilligkeit und Kompensationen“.